MSB brainstorming

10 February 2008

Ammann: Filme schlagen zu Buche

Die Filmindustrie hat es schon lange entdeckt. Was fürs Kino geschnitten und gekürzt wurde, darf für die DVD wieder grosszügig ausgebaut und breit gewalzt werden. Auf den Scheiben finden sich im Bonusmaterial deshalb ursprünglich weggelassene, ja sogar verpatzte Szenen. Ein Making-of und Interviews mit allen Beteiligten dürfen nicht fehlen. Manch ein Film erobert sogar als Langfassung unter dem Label Director's Cut noch einmal sein Publikum – digital restauriert und mit frisch abgemischter Dolby-Tonspur, versteht sich.

Das Rezept soll nun auch für das Buch Schule machen. Klassiker werden in bekömmliches Deutsch übersetzt und kommen in gekürzten Kompaktausgaben auf den Markt. Gleichzeitig werden die Stoffe massentauglich fürs Kino adaptiert: Mme Bovary jagt Dr. Mabuse. – Don Quichotte III: Mission Impossible. – Asterix und Matrix erobern CD-Rom. Im Medienverbund erscheinen zeitgleich Hörbuch, Computerspiel und Handy-Klingelton sowie Merchandisingartikel in Form von interaktiven Einlegesohlen, bebilderten Klobrillen oder einem Bettanzug mit Zitaten, die im Dunkeln leuchten. Die Internet-Generation kann sich die Hauptfiguren als Avatare für Second Life oder World of Warcraft herunterladen. Und für die ganz grossen Fans gibt es alles zusammen als De-Luxe-Edition in der dekorativen Sammelbox.
Kurz bevor der Hype abflaut, kommt wieder das Buch ins Spiel. Weil die Geschichten dermassen fesseln, wollen die Massen mehr von dem guten Stoff. Als Erstes kaufen sie sich die ungekürzte Buchausgabe in einer Neuauflage mit Bildern aus dem Film. Auf die erweiterte Fassung folgen dann wissenschaftlich edierte, aufwändig illustrierte und biografisch kommentierte Spezialausgaben. In den Archiven werden Tagebuchaufzeichnungen, verschollene Briefwechsel, erste Entwürfe und ungekürzte Originalmanuskripte ausgegraben, damit die gefrässige Leserschaft auch in den Genuss jener Passagen kommt, die der Überarbeitung oder einem launischen Lektorat zum Opfer gefallen sind.
Inzwischen füllen die zahlreichen Versionen bereits ganze Regale und erreichen als gigantisches Leseförderprojekt im Medienkoffer schliesslich die Schule. Natürlich muss jetzt PISA umgeschrieben und neu verfilmt werden ...